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Dietrich Roeschmann  (BZ) 

Das Hintergrundrauschen des Punk

Martin Kippenberger und Christoph Schlingensief waren Meister des Balanceakts zwischen Kalauer, Kritik und Wehmut. Bands wie F.S.K. oder die Goldenen Zitronen lieferten die Songs dazu, in deren Lärm immer auch das nostalgische Knistern alter Ska- und Countryplatten anklang. Und Autoren wie Bernd Pfarr oder Max Goldt trugen das melancholische Hintergrundrauschen der Rebellion mit ihren bizarren Oden an das Scheitern ins bürgerliche Feuilleton.

Es ist kein Fehler, sich diese Nebengeräusche des Punk zu vergegenwärtigen, wenn man in den schrägen und flüchtigen Kosmos des Zeichners Ulrich Langenbach eintaucht, dessen Arbeiten zurzeit in der Freiburger Galerie G zu sehen sind. 1950 geboren, fand Langenbach in den frühen Achtzigern zur Kunst, spielte nebenher in diversen Avantgarde-Bands und entwickelte eine Leidenschaft fürs Zeichnen auf ausgedienten Oberflächen, die ihm der Zufall bis heute stapelweise ins Atelier trägt: anonyme Fotos, vergilbte Papiere, Bilder aus gefundenen Büchern.

Ausgangspunkt seiner Zeichnungen und Collagen sind die Spuren, die das Material trägt – weniger als formale Elemente, die er gezielt fortführen würde, sondern als flüchtige Bekanntschaften mit undurchsichtigen Biografien, zu denen er sich an den Tisch setzt, um mit ihnen über Gott und die Welt zu quatschen – und manchmal über Kunst. „Was könnte man zeichnen, wenn einem nichts einfällt? Z.B. einen Hund oder einen Jäger. Vielleicht einen Priester oder eine Rakete“, steht in krakeligen Lettern auf bleichem Millimeterpapier zwischen Dutzenden von Bildern, die sich in chaotischen Clustern an den Wänden verteilen und so tun, als seien sie nicht gemacht, sondern einfach passiert. In einem Farbklecks auf Karton scheint so die „Idee einer Tasche“ auf, der verschmierte Fehlabzug eines unterbelichteten Landschaftsmotivs wird zum Ideal verklärt („So hätte die Nacht Sinn“) und auf den schwarz übermalten Schnappschüssen, die Langenbach hinter schmutzigem Glas präsentiert, sind nur noch die Bildunterschriften zu erkennen: „Eva im Brautkleid“, „Maria, nackt“.

Der assoziative Witz dieser Arbeiten und ihre hinreißende Do-It-Yourself-Ästhetik, die scheinbar keiner Regel folgt, aber gerade darin seltsam präzise das erzählerische Potenzial des Verzettelns einfängt, umkreisen auf subtile Weise die Paradoxie der absoluten Hingabe an den Moment bei maximaler (selbst-)ironischer Distanz. Die Punks haben diesen Widerspruch in Zweiminutensongs gepackt. Ulrich Langenbach verwandelt ihn in große Poesie.

Michael Hübl Katalog, Ulrich Langenbach

 

Kunsthaus Tel Aviv

Die alltägliche Sinnstiftung ist eine Falle

Langenbach schafft mit seiner intuitiven, eigenen Vermischung aus Zeichnung, Text, Malerei, Fotografie, und Collagen die Hülle, den Rahmen, den Anhaltspunkt für Sinn-Inhalte des Betrachters. Paradox sind seine Interventionen, eine gebündelte Aufdeckung von Trivialitäten, die ungewohnte Fragenstellungen konstruieren. Wie zum Trotz scheinen die Wortfragmente, Satzteile, radikal oder philosophischen Kommentare ihren Platz zu behaupten neben seiner oft szenischen, unkompliziert komikartigen, strichhaft naiven oder grotesk überzeichneten Malerei.

Ulrich Langenbach unterläuft Erwartungen. Er reißt Lücken auf, legt Brüche bloß, enttarnt mit spielerischer Beiläufigkeit das Trügerische und Zweifelhafte hinter dem Gewohnten, das zur scheinbaren Selbstverständlichkeit wird, weil es Standard und gängiger Konsens ist. Diese Brüche, Lücken, Risse werden durch das Zusammenführen disparater Bild- und Text-Elemente zu Bewusstsein gebracht, aber sie beschränken sich nicht auf die Ebene des Visuellen und Verbalen, sondern betreffen tiefere Schichten menschlicher Existenz und Lebensführung. Allenthalben begegnet man in Langenbachs Arbeiten Statussymbolen, Urlaubsidyllen, Kinohelden, Hinweisen auf kulturelle Erbauung oder sexuelle Erfüllung – hier ein schneller Sportwagen, dort ein malerischer Berggipfel, ein strahlender Cowboy, ein Hinweis auf Goethe oder das Foto eines nackten Frauenoberkörpers. In früheren Arbeiten tauchen wiederholt auch religiöse Motive auf, sodass sich insgesamt ein ganzes Kompendium von Konstruktionen ergibt, mit denen Menschen versuchen, ihr Leben mit Sinn zu füllen. Auf der anderen Seite streift Langenbach immer wieder das Scheitern: ein überbelichtetes Gesicht, ein unfallbeschädigtes Auto, ein Flugzeug im Sturzflug. Er zeigt, die alltägliche Sinnstiftung kann zur Falle werden. Muss es aber nicht. Mitunter genügt es, die Regeln zu ändern. Dann gelingen sogar die kniffligsten Kreuzworträtsel.

 

Monika Liesegang

Ulrich Langenbach / The Wall, Düsseldorf

Die „Ausstellungssituation Kunst“ reicht Kunst in Häppchen, auf Augenhöhe,
mundgerecht, penibel vermessen, der Vorabinformation entsprechend, fixiert, arretiert, im Idealfall perfekt eingepasst, damit die uns angenehme Statik bitte nicht unterbrochen wird, wir nicht ins Wanken geraten. Damit durch Vernunft und Regelwerk „die Bergwelt an Höhe verliert“, damit wir „abgesichert sind gegen den Verlust“. Das Leben zeigt uns unerbittlich: Mit Vorsicht und Misstrauen kann man das Scheitern nicht verhindern! Trotzdem lebt man in der Angst davor. Bleibt man im Bekannten, Vertrauten, gibt man sich zufrieden in der Komfortzone, gibt es wenigerSituationen, die Grenzüberschreitungen anbieten. Es gibt, die Dualität verschont uns nicht, weniger Lebendigkeit, keine Veränderung, keine Entwicklung, Stillstand, ein Leben mit angezogener Handbremse. Guten Tag, Fernweh entsteht, wenn sie versuchen, ihre Lage zu negieren, oder nicht.“
Welchen Spaß machen diese Sätze! Man glaubt, sie zu verstehen, der Inhalt ist ein wenig vertraut, und plötzlich ist man wieder im freien Fall der Unwissenheit, danach vielleicht drei Verzweigungen ungewissen Ziels. Man wird entlarvt, kein Rezept zu haben, nicht zu wissen, auf einem Grat zu wandern, man wird entlarvt, aber in Liebe, von einem Gleichgesinnten, denn das Angebot an Möglichkeiten ist geeignet, die Angst fruchtbar zu machen, Frieden zu schließe, denn man überlebt! Ulrich Langebach beginnt seine Arbeit täglich mit dieser fruchtbaren Angst, ohne einen Beginn, d.h. der Weg ist nicht verstellt durch ein Startsignal, durch Pläne und Idee. Der Kopf ist leer und der Schaffensprozess zeigt: Alles ist schon da! Darauf können wir als Betrachter, ein Trost!, ebenfalls vertrauen: Alles ist da, wird wahrnehmbar. Nur Nachdenken hilft nicht! Die Fragen In Langenbachs Arbeiten werden durch Nachdenken nicht beantwortet.